Obdachlosigkeit ist ein schlimmes Schicksal. Menschen brauchen, anders als wandernde Rinderherden oder Fische, ein Dach über dem Kopf, eine so genannte “Heimat“. Es scheint aber auch Personen zu geben, die ohne Heimat existieren können. Manchmal verteidigen Menschen ihre Heimat vor einem Aggressor, wie gegenwärtig die Ukrainer.
Juden existieren seit dem 8. Jahrhundert BCE in der Diaspora und Autoren wie Jakob Neuner und Daniel Boayrin haben diesen heimatlosen Zustand als den eigentlichen des jüdischen Volkes gedeutet. Im Matthäus-Evangelium heisst es: „Und es trat ein Schriftgelehrter herzu und sprach zu ihm: Meister, ich will dir folgen, wohin du gehst. Jesus sagt zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ (8, 19-20) Die ersten Anhänger des Buddha Shakyamuni sollen, wie er selbst, in die “Hauslosigkeit” gegangen und als Bettelmönche gelebt haben.
Neben der physischen Behaustheit und Obdachlosigkeit gibt es auch die geistige und religiöse: Eine Person kann Anhängerin einer Lehre oder einer Glaubensgemeinschaft sein. Geistig und spirituell obdachlos sind dagegen Skeptiker. Es gibt skeptische Deutungen des Buddhismus, des talmudischen Judentums und auch des Christentums. Danach ist keine behauptende Lehre über Gott und die Welt in diesen Religionen entscheidend, sondern Praktiken: das “Lernen”, das “Meditieren”, die dienende Zuwendung zu anderen Menschen. Auch die Philosophie kann man entweder als eine Lehre verstehen, die Personen ein geistiges Zuhause gibt als Kantianer, Hegelianer, als Phänomenologin oder analytische Philosophin. Oder man sieht sie als eine Tätigkeit des Reflektierens und Zweifelns an, die nicht auf das Ziel der Errichtung eines “Lehrgebäudes” oder einer “Schule” gerichtet ist, sondern auf die Vermeidung von fanatischem Dogmatismus und in Zwiste führender Rechthaberei. Der Vortrag versucht durch Betrachtung unterschiedlicher Bespiele aus Politik, Religion und Philosophie zu erwägen, wann Obdachlosigkeit eine Gefahr darstellt an Orientierungs- und Sinnverlust zu leiden und ob sie eine Möglichkeit darstellen kann, sich überall zuhause zu fühlen, physisch, religiös und philosophisch.