Israels Unabhängigkeitstag beginnt erst, wenn der Tag des Gedenkens an den gefallenen Soldaten endet. Somit sollen die Israelis die Gründung des Staates 1948 erst feiern, nachdem sie der 25.420 Gefallenen gedacht haben, die mit ihrem Blut die Entstehung und Verteidigung Israels bezahlt haben. Am Gedenktag besuchen viele Israelis militärische Friedhöfe, wo Gedenkfeiern stattfinden. Am folgenden Feiertag reisen viele durchs Land, nehmen an städtischen Festlichkeiten teil oder folgen der offiziellen Zeremonie in Jerusalem, wo 12 auserwählte Israelis zwölf Fackeln in Anwesenheit der Staatsführung anzünden. Andere schauen sich den internationalen Bibelwettbewerb an, an dem auch schon ein arabischer Israeli erfolgreich teilgenommen hat.
In diesem Jahr jedoch galt am Feiertag der nationale Notstand aufgrund der großflächigsten Waldbrände (die auch eine Folge der Untätigkeit der Behörden waren). Die offiziellen Zeremonien wurden abgesagt. Die Fernsehsender zeigten sowohl die Aufnahme der Generalprobe als auch aktuelle Berichte über die Sperrung der Autobahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem, dazu die Räumung von zehn Orten sowie des Klosters Latrun.
Der Gedenktag freilich wurde zusätzlich durch die beispiellose Gewalt gegen Teilnehmer der traditionellen israelisch-palästinensischen alternativen Gedenkfeier überschattet. Es traf Bürgerinnen und Bürger, die selbst gerade zum Ende der Gewaltspirale aufrufen.
Ein kleiner Trost war, dass sowohl die Waldbrände als auch die innere Gewalt keine Menschenleben forderten. Doch die Spuren der Gewalt werden sowohl die Pinienwälder als auch die überfallenen Teilnehmer der Gedenkfeier in einer liberalen Synagoge in der Stadt Raanana Israel noch lange beschäftigen.
Igal Avidan berichtet seit langem über israelische und deutsch-jüdische Themen für das Magazin chrismon und die öffentlich-rechtlichen Medien. In seinem letzten Buch „…und es wurde Licht“ (das wir 2023 an der Akademie vorgestellt haben) hat er sich intensiv mit dem Verhältnis von jüdischen und palästinensischen Israelis beschäftigt.