16. Berliner Kolloquium Junge Religionsphilosophie
23.-25. Februar 2023
Simone Weils mystisches Christentum verstört und irritiert. In Distanz zu jeder systematischen Philosophie wurde sie doch eine der prägenden Gestalten der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Zugleich kommt sie im Kanon der akademischen Philosophie kaum vor. Die Konfrontation mit der Wirklichkeit des Unglücks mag den Kern ihres Denkens bilden. Philosophisch reklamiert die existenzielle Ernsthaftigkeit ihres religiösen Fragens die unauflösbare Verflochtenheit von Metaphysik und Lebensführung.
Im Denken wie im Leben war sie radikal. Um die Unterdrückung von Fließbandarbeitern kennenzulernen, arbeitete sie bei Renault und verfasste ein „Fabriktagebuch“. Um die Barbarei des Krieges zu erfahren, nahm sie am Spanischen Bürgerkrieg teil. Geboren in eine jüdische Familie, fasziniert vom Katholizismus, ohne je zu konvertieren, wandte sie sich einer radikalen Suche nach christlicher Spiritualität im Zeichen von „Christi Liebe“ zu. Die Liebe beginnt für Simone Weil dabei mit einem Akt der Aufmerksamkeit, und trägt ihre Früchte in einem disziplinierten Verhalten, in einem bestimmten Muster von Praktiken. Daraus entwickelt sie eine bemerkenswerte Analyse der Aufmerksamkeit. Im Gebet, im Musizieren, in der Konzentration künstlerischen Schaffens oder wissenschaftlichen Forschens, aber auch im gelingenden Alltag begegnet die mühsam gelernte Lenkung der Aufmerksamkeit. In einer Welt wissenschaftlicher Rationalität verteidigt sie so das Recht von Innerlichkeitserfahrungen und von Erfahrungen der Gegenwart Gottes, die sich den Zwängen unseres Alltags entziehen – zugleich aber nur in den Mühen desselben begegnen. Die Sehnsucht nach dem Guten angesichts der Erfahrung von Schmerz, Gewalt und Unterdrückung führt sie schließlich zu einer religiösen Anthropologie aus biblischen wie antiken Quellen. Im Verhängnis der lastenden Macht der Materie und ihrer Schwerkraft entdeckt sie das Wirken der Gnade. Der Topos des abwesenden Gottes wird damit zum Leitmotiv für Simone Weils Metaphysik.
Das 16. Berliner Kolloquium Junge Religionsphilosophie lädt dazu ein, entlang solcher Motive die Wucht von Simone Weils Religionsphilosophie neu zu entdecken. Zugleich ist „Der abwesende Gott“ freilich auch der Titel einer Doktorarbeit über Simone Weil, die Susan Taubes 1956 bei Paul Tillich einreichte. Das Kolloquium bietet Gelegenheit, auch solche ideengeschichtlichen Spuren einer faszinierenden Wirkungsgeschichte zu erkunden.
Der öffentliche Abend am 23.02.23 um 19 Uhr wird auch live auf YouTube übertragen: https://youtube.com/live/er47Miu7ccA
CALL for PAPERS
Manuskripte und Vortragsskizzen können Sie bis zum 9. Dezember 2022 per E-Mail an steiner@katholische-akademie-berlin.de senden. Eingereichte Skizzen sollten nicht länger als 5000 Zeichen und in deutscher oder englischer Sprache verfasst sein. Schicken Sie bitte außerdem einen kurzen CV .
In einer freien Sektion können Sie eigene Projekte vorstellen, die nicht ins oben skizzierte Themengebiet fallen. Auch Manuskripte für diese Sektion sollten 5000 Zeichen nicht überschreiten. Für jeden angenommenen Beitrag zum Thema werden 45 Minuten des Kolloquiums reserviert; die Vorträge sollten einen Umfang von 20 Minuten nicht überschreiten. In der freien Sektion sind pro Beitragenden 20 Minuten vorgesehen (10 Minuten Vortrag / 10 Minuten Diskussion).
Das „Berliner Kolloquium Junge Religionsphilosophie“ wird in Kooperation mit dem Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, der Deutschen Gesellschaft für Religionsphilosophie und der Katholischen Akademie in Berlin durchgeführt. Es will Nachwuchsforscherinnen aus den Geistes,- Sozial- und Kulturwissenschaften, insbesondere aus Philosophie und Theologie, versammeln, die ein Interesse an Religionsphilosophie haben. Ziel ist der offene und interdisziplinäre Austausch jenseits der Spielregeln akademischer Karriereplanung, ernsthaft und intellektuell ambitioniert in der Sache und auf dem Stand der akademischen Forschung.
Ort: Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin