Veranstaltungsarchiv

Anti-Antisemitismus und Postkolonialismus

Dokumentation
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Gregor Maria Hoff zu Anti-Antisemitismus und Postkolonialismus
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Christina von Braun zu Anti-Antisemitismus und Postkolonialismus
Termin: 13.10.2022
Beginn: 19:00 Uhr
Ort: Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin

Die Veranstaltung ist Teil des interreligiösen Programms „Kohäsion durch Konflikt“ des Netzwerks „Religion & Demokratie“.

 

 

Zeitgenössische Debatten zeigen eine wachsende Spannung zwischen dem theoretischen und politischen Kampf gegen Antisemitismus einerseits und dem theoretischen und politischen Diskurs des Postkolonialismus andererseits.

Diese Spannung mag insofern paradox erscheinen, als beide Diskurse – der postkoloniale und der antiantisemitische – zumindest nominell Widerstand gegen historische Formen tiefsitzender Diskriminierung und struktureller oder gar zivilisatorischer Unterdrückung durch europäische hegemonial- und imperiale Mächte gegen schwache Minderheiten aufweisen, oft mit theologischen und rassistischen Untermauerungen, die sich in völkermörderischer Politik manifestiert haben.

Doch anstatt Solidarität zu erzeugen, sind diese beiden Diskurse derzeit oft fast als diametrale Opposition angesiedelt: Der Postkolonialismus wird als zentrales Ziel der zeitgenössischen Antisemitismuskritik postuliert; Anti-Antisemitismus wird als Zeichen der Hegemonie postuliert, die von der postkolonialen Kritik bestritten wird.

Dieses Panel versucht, diese komplexe Konstellation von Rivalität, Polemik und sogar Antagonismus zu erforschen, zu konkretisieren und zu reflektieren, die die tiefen Kämpfe und Spannungen in der zeitgenössischen Kultur, Theorie und Politik verkörpert.

Zu den zu diskutierenden Fragen gehören der gegenwärtige diskursive Status des Begriffs, der Definition und der Geschichtsschreibung des Antisemitismus; die Schnittstelle zwischen Anti-Antisemitismus und anderen zeitgenössischen Diskursen, die ähnliche Themen und Probleme betreffen wie Antirassismus, Black Lives Matter-Bewegung, Kampf gegen Islamophobie, Feminismus und Postkolonialismus sowie die Kritik des Orientalismus; die Rolle des Staates Israel in diesen Konstellationen und verschiedene „diasporische“ Positionen: in Deutschland, Frankreich, den USA; Fragen nach dem Status jüdischer Identität, Kultur und Wissen, moderner und traditioneller, insbesondere rabbinischer intellektueller Tradition: die Bedeutung ihrer Behauptung im Kontext der Spannung zwischen Anti-Antisemitismus und Postkolonialismus, auch unterschiedliche Strategien des Umgangs mit dem modernen Antisemitismus selbst.

 

 

Die Leo Baeck Foundation (Berlin), die Eugen-Biser-Stiftung (München), der Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg und die Katholische Akademie Berlin bilden das Netzwerk Religion und Demokratie. Die vier Institutionen nehmen sich in dem über mehrere Jahre angelegten Projekt zentraler Konflikt- und Streitfelder im Verhältnis von Religion und Demokratie an. Theoretische Grundlegung, praktische Bildungs- und Dialogarbeit und öffentliche intellektuelle Debatte werden aufeinander bezogen, um Konfliktlinien des interreligiösen Gesprächs auszuleuchten.

 

Das Programm „Kohäsion durch Konflikt“ widmet sich Religionen als prägenden Kräften kultureller und normativer (Selbst-)Verständigung. Religionen inspirieren, indem sie Transzendenzerfahrungen und Sinnerwartungen Raum geben. Sie irritieren, wo sie in ihrer Eigensinnigkeit gestaltend in die Gesellschaft hineinwirken und neue Blickwinkel auf öffentliche Belange anregen. Sie entfalten ihr produktives Potenzial, wenn sie damit Deutungsressourcen freisetzen und Orientierungsangebote in säkularen Gesellschaften bereitstellen.

Vor diesem Hintergrund fördern wir ein reflektiertes und offenes, Brüche und Konflikte ausdrücklich anerkennendes Gespräch religiöser Akteur*innen untereinander und mit ihrer säkularen Umwelt. Ein wichtiger Anlass des Gespräches ist die wachsende religiös-weltanschauliche Vielfalt. Im Lichte dieser Entwicklung dient das Programm einer verständigungsorientierten Aushandlung widerstreitender Deutungen des guten Lebens, identitätsstiftender Glaubensansprüche und religionspolitischer Teilhabeforderungen. Konflikt soll als Medium der Kohäsion fruchtbar werden. Voraussetzung dafür ist die Kultivierung von Sprachfähigkeit und Streitkompetenz an den Schnittstellen von Religion, Gesellschaft und Politik. Im Zielhorizont steht ein friedvolles gesellschaftliches Miteinander.

Das „säkulare Zeitalter“ ist begleitet von einer Wiederentdeckung religiöser Identitätskonstruktionen, Denkfiguren und Handlungsimpulse. Damit verbunden sind gesellschaftliche Reibungen. Ein Schlüssel zu deren produktiver Wendung liegt gerade in der vertieften Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen. Deswegen braucht es vermittelnde Akteur*innen, die alltagsbezogene religiöse Probleme erkennen und entschärfen können. Im Bewusstsein der Sackgassen und unbewältigten Konflikte des interreligiösen Dialoges schaffen wir konkrete Dialogformate, um Vorurteile zu erfassen. Verständigung erwächst aus der Arbeit an geteilten gesellschaftspolitischen Herausforderungen in unserer säkular-pluralen Welt. Die Vielfalt religiöser Selbst-, Welt- und Gottesbezüge bedeutet dabei ein Versprechen; sie vermag den Blick und die Akzeptanz für gesellschaftliche Differenz zu schulen – und damit die demokratische Kultur zu stärken.

 

 

Referenten
Gastreferenten
Prof. Dr. Dan Diner
Prof. Dr. Christina von Braun
Prof. Dr. Gregor Maria Hoff
Verantwortlich
PD Dr. Elad Lapidot
Prof. Dr. Elad Lapidot
Projektmitarbeiter
+49 30 28 30 95-160 E-Mail schreiben