
Der persische Mystiker Jalāl ad-Dīn Rūmī (1207–1273) gilt als einer der weltweit beliebtesten Dichter. Seine Sprache verbindet Mehrdeutigkeit, Metaphern und Paradoxien zu einer antinomischen Liebesmystik, in der göttliche Nähe gerade in der Trennung erfahrbar wird. Anhand ausgewählter Beispiele aus Divān und Masnavī zeigt der Vortrag, wie Rūmī Sinnbildung im Licht zentraler sufischer Begriffe wie „Entwerdung“ (fanāʾ) und „Einheit“ (waḥda) gestaltet. So wird deutlich, dass seine Dichtung weder durch Bereinigung islamischer Konzepte noch durch orthodoxe Lesarten vollständig erfasst werden kann.
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Jalāl ad-Dīn Moulānā Rūmīs Werk prägte nicht nur die persophone Welt (900–1900, vom Balkan bis Südasien), sondern wurde auch in europäischen Sprachen rezipiert. Übersetzungen von Friedrich Rückert, Hammer-Purgstall und die Edition von R. A. Nicholson machten Rūmī bereits vor 100 Jahren in Europa zugänglich. Erst ab den 1970er Jahren brachten Nachdichtungen von Coleman Barks (The Essential Rumi, 1995) ihn einem breiten Publikum nahe, machten ihn in den USA populär und zur Identifikationsfigur esoterischer Bewegungen. In der Forschung wird diese Popularisierung kritisch gesehen, da islamische und mystische Elemente dabei teils ausgeblendet werden.
Rūmīs Sprache ist geprägt von Mehrdeutigkeit, lebendiger Metaphorik, der Harmonisierung von Gegensätzen, dem zentralen Motiv der Liebe und kraftvollen, dogmatische Frömmigkeit in Frage stellenden Bildern. Zugleich ist seine Lehre tief in der islamischen Geistesgeschichte verwurzelt, mit Bezügen zu mystischer und philosophischer Tradition sowie zahlreichen Zitaten aus Koran und Hadith. Sein sechsbändiges Spätwerk, das Masnavī, wird nicht umsonst als „Koran auf Persisch“ bezeichnet.
Der Vortrag von Roman Seidel zeigt, dass Metapher und Paradox bei Rūmī untrennbar verbunden sind: Die gleichzeitige Gültigkeit von „A ist B“ und „A ist nicht B“ – in Anlehnung an Ricœur (Die lebendige Metapher) – eröffnet einen Prozess neuer Sinnbildung. Anhand ausgewählter Beispiele aus Divān und Masnavī, vorgetragen auf Persisch mit deutscher Übersetzung, wird demonstriert, wie zentrale sufische Konzepte wie „Entwerdung“ (fanāʾ) und „Einheit“ (waḥda) poetisch inszeniert und erfahrbar werden. So zeigt sich, dass Rūmīs Dichtung weder durch Bereinigung islamischer Konzepte noch durch orthodoxe Lesarten vollständig erfasst werden kann.

