Der Theologe Walter Grundmann (1906–1976) war einer der umstrittensten Charaktere der evangelischen Kirche im 20. Jahrhundert. Bereits 1936 zum Professor für Völkische Theologie an der Universität Jena ernannt, wurde er 1939 akademischer Direktor des »Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben« in Eisenach. Seine ab 1959 erschienenen Evangelien-Kommentare gehörten lange zur theologischen Standardliteratur in der DDR und der Bundesrepublik.
Die Autorin, seine Enkelin, kann anhand einer tiefenhermeneutischen Analyse einiger seiner Texte zeigen, dass es für das Verständnis des Antisemitismus nicht nur unerlässlich ist, judenfeindliches Denken und Fühlen im frühen Christentum zu verorten, sondern auch, dass die Geschichte der kulturellen Transformation christlicher Konzepte und Begriffe erzählt werden muss. Denn das Christentum diente dem Nationalsozialismus als umfassendes ideelles Fundament. Mit ihrer Perspektive, den Antisemitismus als eine symbolische Form der Abwehr von Weiblichkeit und Generativität zu verstehen, tastet sie sich dabei an den Prozess der transgenerationalen Weitergabe von Ideen und Gefühlen bis in die Gegenwart heran.
Dr. Uta Grundmann, Kunsthistorikerin und Psychologin, leitet seit 2019 den Publikationsbereich der Akademie der Künste, Berlin.