Veranstaltungsarchiv

Kulturkampf

Epochales Ereignis und aktuelle Denkfigur | Internationaler Workshop
Dokumentation

Bei der Aufnahme gab es technische Schwierigkeiten.

Termin: 31.08.2021 – 02.09.2021
Beginn: 15:00 Uhr
Ort: Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin

Der Kulturkampf, im engeren Sinne die Auseinandersetzung des preußischen Staates und des deutschen Reichs mit der katholischen Kirche in den 1870er und 1880er Jahren, war ein epochales Ereignis. Er hat den Status des Katholizismus, die Beziehung zwischen den Konfessionen und das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland nachhaltig geprägt. In seiner europäischen Dimension mit Parallelen u.a. in Frankreich, der Schweiz und Italien markierte er eine grundsätzliche Krise der Modernisierung, wenn nicht gar eine tiefliegende Paradoxie des säkularen Liberalismus. Der in viele Sprachen übernommene Ausdruck wird darüber hinaus zu einem Modell, das im 20. Jahrhundert immer wieder aufgerufen wird, etwa in den „culture wars“ im Amerika der 1990er Jahre oder in der rezenten Rede eines „Kulturkampfs von rechts“ – eine Wiederkehr, die möglicherweise ebenfalls auf grundsätzliche Probleme moderner Gesellschaften mit der Kultur verweist. Die Tagung verbindet ein historisches Interesse am Kulturkampf und seinen Folgen mit einer generellen Reflexion über die Formen und Logiken kultureller Eskalation, die sich mit der Rede von Kulturkämpfen verbinden. Was zeigt der Kulturkampf über die deutsche Geschichte und wie wurde er in ihr erinnert? Wie ist die aktuelle Rede von modernen Kulturkämpfen zu bewerten und was zeigt sie über den Zustand des politischen und kulturellen Diskurses?

 

Vier Aspekte sollen dabei besonders im Vordergrund stehen:

Weltanschauung: Der Kulturkampf war immer mehr als eine rechtlich-politische Auseinandersetzung. Die Auseinandersetzung zwischen Liberalismus und Katholizismus war auch ein Ringen um ein Weltanschauungsmonopol, eine Auseinandersetzung verschiedener Lebensformen, in der „Kultur“ zugleich Streitobjekt und Waffe war. In ihm zeichnen sich die großen ideologischen Auseinandersetzungen ab, die dann das zwanzigste Jahrhundert prägen, in ihm wird auch das grundlegende Problem deutlich, wie sich eine demokratische und pluralistische Gesellschaft mit dem Alleinvertretungsanspruch solcher Ideologien vereinen lässt.

 

Das Imaginäre: Der Kulturkampf wird in der Öffentlichkeit ausgetragen, beide Seiten bedienen sich der entstehenden Massenpresse, aber auch der Literatur, der Kunst, der Geschichtsschreibung, der Karikatur. Diese kulturelle Formatierung scheint ihm wesentlich zu sein, weil die Unschärfen der kulturellen Zugehörigkeit durch kulturelle Symbolisierungen und Fiktionen stabilisiert werden müssen: Weil etwa das neue Reich als „verspätete Nation“ noch wenig profiliert ist, muss es sich ein Gedächtnis erfinden, in dem Abgrenzung von „Rom“ eine so zentrale wie überdeterminierte Stellung einnimmt. Zugleich lässt sich die kulturelle Produktion der Zeit, etwa der historische Roman, kaum ohne den Hintergrund des Kulturkampfes verstehen.

 

Mehrfache Alterität: Die scheinbar klaren Frontlinien im Kulturkampf werden bei näherem Hinsehen unübersichtlich, wenn in ihm auch andere Gruppen wie die Juden oder die Sozialisten auftreten. Denn die Ausgrenzung religiöser Minderheiten oder der Vorwurf, einen „Staat im Staat“ zu bilden, konnte sich auch gegen liberale Juden richten; zugleich trug auch das katholische Feindbild des Liberalismus oft deutlich antisemitische Züge. Die Politik der Ausgrenzung verschob sich nach Abschluss des Kulturkampfs auf die Sozialisten und prägte die Vorstellung einer von inneren Feinden bedrohten Nation und deren Problem, mit religiöser, kultureller und weltanschaulicher Pluralität umzugehen. Zugleich bietet diese Konstellation die Gelegenheit, oft wenig beachtete Parallelen von jüdischer und katholischer Renaissance sowie der damit verbundenen Identitäts- und Ausgrenzungslogiken genauer zu erkunden.

 

Aktualität des Kulturkampfs: Die am Kulturkampf paradigmatisch zu beobachtenden Mechanismen der Alterisierung und der diskursiven Eskalation bestimmen auch den öffentlichen Diskurs im 20. Jahrhundert, insbesondere nach dem Ende der großen ideologischen Blockkonfrontation. In den USA etwa sind die neunziger Jahre von den „Culture wars“ über Fragen des Curriculums, der Minderheitenrechte und der Identität geprägt, in denen man sich zumindest anfänglich noch durchaus der deutschen Herkunft des Ausdrucks bewusst war. Im 21. Jahrhundert ist vor allem die Auseinandersetzung mit globaler Migration, teils aber auch generell mit dem Islam wahlweise als Kulturkampf oder als Kampf der Kulturen beschrieben worden.

Lange erschien der Kulturkampf als ein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. Heute, angesichts einer postsäkularen Gesellschaft, ist der lange selbstverständliche Ausgleich von Gesellschaft und Religion aus der Nachkriegszeit ebenso fraglich geworden wie die Deutung der Geschichte, etwa auf europäischer oder globaler Ebene. Der Zusammenhang zwischen Identität, Kultur und Konflikt beschäftigt auch heute die Öffentlichkeit, teils in altbekannten Formen wie dem Karikaturenstreit, teils unter ganz neuen medialen Bedingungen. Die Tagung fragt nach den Lektionen aus der Geschichte des Kulturkampfs. Was lernen wir aus der historischen Vergegenwärtigung für die Beschreibung und Deutung solcher Auseinandersetzungen?

 

Die Veranstaltung findet statt in Kooperation mit Prof. Dr. Daniel Weidner (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg).

Programm Kulturkampf

31.8. - 2.9. 2021

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Verantwortlich
Dr. Stephan Steiner
Referent
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