Geobiologie und Darwinismus, Soziologie, Indogermanistk, Mythologie – die neuen Leitwissenschaften des 19. Jahrhunderts wollten die religiöse Heilsgeschichte ersetzen und im Geist des rein immanenten Fortschritts eine neue Welt erstehen lassen. In dieser neuen Welt ist die Natur keine Schöpfung mehr, der Mensch nicht mehr Ebenbild Gottes und die Geschichte der Kultur nicht mehr Geschichte der Offenbarung. Merkwürdigerweise aber – so die Zentralthese von Wilhelm-Schmidt-Biggemann – betreiben die neuen Leitwissenschaften weiterhin die Heilsgeschichte, die sie für überwunden halten. Die Mischung von neuer Wissenschaft und alter Heilsgeschichte erzeugt die dämonische Dynamik des 19. Jahrhunderts, die in der Unheilsgeschichte des 20. Jahrhunderts mündet, ihren heillosen Heilsgeschichten und mörderischen Messiassen.
Wilhelm Schmidt-Biggemann, Professor em. für Philosophie an der Freien Universität Berlin; 1999 Fellow an der University of Pennsylvania, 2004/05 am Institute of Advanced Studies in Princeton; 2011 Gastprofessor an der Universität Tel-Aviv; Forschungsschwerpunkte: Religionsphilosophie, Geschichte der Philosophie und Philologie in der Frühen Neuzeit, Geschichtsphilosophie, Geschichte der Metaphysik und Geschichte der politischen Philosophie. Zuletzt: Der Dämon des 19. Jahrhunderts. Anatomie eines überforderten Säkulums, Stuttgart Bad-Cannstatt 2021.