Veranstaltungsarchiv

Von Eremiten und Heiligen – Körper und Glaubenspraxis

Öffentlicher Abend im Forum Junge Wissenschaft
Ikone des hl. Symeon Stylites d. Ä. (links) und des hl. Symeon Stylites d. J.
Termin: 19.04.2024
Beginn: 19:00 Uhr
Ort: Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin

Warum fasziniert die Gebetspraxis in Klöstern oder von Eremiten uns noch heute? Welche Rolle spielt dabei das Verhältnis von Körper und Seele?

Seit einigen Jahren wird der Beteiligung des Körpers am Gebet mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Sowohl Körperhaltung und Atmung als auch die Sinneswahrnehmung gewinnen an Bedeutung, was unter anderem auf spirituelle Einflüsse aus dem ostasiatischen Raum zurückzuführen sein könnte. Aber auch in der Philosophie wird dem Körper eine Beteiligung an Erkenntnisprozessen zugestanden, was sich in Begriffen wie embodiment oder verkörperter Geist ausdrückt. Blickt man mit diesem Bewusstsein auf tradierte Gebetspraktiken wie die des Jesus- oder Herzensgebets, zeigt sich, dass die Einbeziehung des Körpers schon im 14. Jahrhundert unter Theologen Anlass zu folgenreichen Konflikten bot. Diese Gebetspraxis, die über Jahrhunderte vor allem in der orthodoxen Kirche gepflegt wurde, wird gegenwärtig in anderen christlichen Konfessionen wiederentdeckt.

Die Künstler gingen dieser Bewegung wie so oft voraus: So hat der Dadaist Hugo Ball bereits 1923 seinen persönlichen Rückblick auf drei Heilige aus der Frühzeit des Christentums in seinem Buch Byzantinisches Christentum veröffentlicht. Zwei von ihnen, Simeon Stylites und Johannes Klimakos, haben ihn besonders durch ihre asketische Glaubenspraxis verbunden mit dem Rückzug in die Wüste beeindruckt. In seiner religiösen wie künstlerischen Suchbewegung drückt sich die Sehnsucht des modernen Menschen nach innerer Ruhe und körperlicher wie geistiger Selbstbeherrschung aus.

In der Diskussion der Vorträge soll es darum gehen, wie sich die Neubewertung des Körpers auf eine heutige Glaubenspraxis auswirken kann. Inwieweit kann es dabei hilfreich sein, das Gebet als ein Wandlungsgeschehen zu verstehen, in das Körper und Seele miteinbezogen sind, als einen unaufhörlichen Prozess der Annäherung an Gott und der Gotteserkenntnis, der allen offensteht?

Zu den Vorträgen:

Die Lehre vom Gebet in den Werken des Heiligen Gregorios Palamas
Kostiantyn Mykhanchuk (Magister Theologiae, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt; Absolvent des orthodoxen Priesterseminars in Kiew)

Gregorios Palamas (1296-1359), einer der bedeutendsten orthodoxen Lehrer, ist bekannt für seine Apologie der monastischen Gebetspraxis des Hesychasmus. Kostiantyn Mychanchuk zeigt, dass verschiedene Aspekte seiner Lehre (u.a. die Lehre vom Wesen Gottes und seinem Verhältnis zu den göttlichen Energien, die Lehre vom göttlichen Licht, von der Gotteserkenntnis und der Gnade) mit der Gebetslehre verbunden sind. Dabei ist es ihm ein wichtiges Anliegen, die Gebetslehre nicht nur im Kontext des Streites um den Hesychasmus, sondern im Ganzen zu untersuchen.

Ein zentrales Element des Hesychasmus ist die Auffassung, dass nicht nur die Seele, sondern auch der Körper des Menschen an dem zur Gotteserkenntnis führenden Gebet beteiligt ist. Dies äußert sich in körperbezogenen Vorschriften, zu denen die Konzentration auf den Nabel und eine besondere Regulierung des Atems gehören. Diese Einbeziehung des Körpers steht im Gegensatz zur traditionellen (neu)platonischen Lehre, die den Erkenntnisvorgang als rein seelischen Prozess einstuft und den Körper als bloßes Hindernis wertet, das sich dem Aufstieg der Seele zur Schau des Göttlichen durch seine materielle Beschaffenheit widersetzt.

„Sein Fuß ruht in der Verwesung, sein Scheitel rührt an die Sterne.“
Hugo Ball und die Askese im frühen Christentum
Mirjam Wulff (Ev. Theologie, Humboldt-Universität zu Berlin; der Vortrag ist im Rahmen der Arbeit an ihrer Dissertation entstanden)

Als der Dada-Gründer und Künstler Hugo Ball 1923 sein Buch Byzantinisches Christentum veröffentlichte, erregte das die Aufmerksamkeit von Theologen wie Romano Guardini und Karl Holl. Anhand der Darstellung der Leben von Johannes Klimakos, Dionysius Areopagita und Simeon Stylites entwickelt Ball darin eine faszinierende Verschränkung von künstlerischem und religiösem Ideal. Die radikale asketische Praxis wird für ihn zum Vorbild für den Künstler, der wie die Heiligen und Eremiten in Form einer „Abartung nach oben“ nicht nur sein Sozialgefüge, sondern auch körperliche Bedürfnisse hinter sich lassen soll. Balls paradoxe Verschränkung der Betonung der Leiblichkeit einerseits und des Ideals des Verschwindens andererseits spiegelt dabei auch seinen eigenen biographischen Weg, der ihn aus der Welt der Großstädte in den Rückzug in die Schweizer Alpen führte. Rückzug, Konzentration, Selbstbeherrschung – viele der Themen, die Ball beschäftigten, finden sich auch in heutigen Diskursen wieder. Gerade Balls poetische Herangehensweise an seine Protagonisten eröffnet interessante Zugänge zu Fragen nach dem Verhältnis zwischen Körper, Tradition und religiöser Praxis.

Auf die Vorträge reagieren Sr. Mechthild Brömel OCD, Karmel Regina Martyrum Berlin, und Marina Sawall, Projektassistentin an der Katholischen Akademie in Berlin.

Im Anschluss sind Sie herzlich eingeladen, mit den Vortragenden zu diskutieren.

Unter dem Motto „Call for Thesis“ waren Absolventinnen und Absolventen aus Theologie, Philosophie, Religionswissenschaft und angrenzenden Disziplinen aufgerufen, ihre Abschlussarbeiten in der Katholischen Akademie in Berlin einzureichen. Die ausgewählten Arbeiten geben einen Einblick in die Vielfalt religiöser Aspekte in aktuellen universitären Abschlussarbeiten.

Nächster Termin:

17. Mai 2024, 19 Uhr: Staat und Religion

Bewerbungen für die Fortsetzung der Reihe im Herbst werden jederzeit entgegengenommen.
Informationen erhalten Sie auf Anfrage an:

Larissa Gerg: gerg@katholische-akademie-berlin.de
Marina Sawall: sawall@katholische-akademie-berlin.de

Referenten
Gastreferenten
Kostiantyn Mykhanchuk
Katholische Universität Eichstätt
Mirjam Wulff
Humboldt-Universität zu Berlin/Stiftung Gebäudeensemble Joachimsthalsches Gymnasium Templin
Schwester Mechthild Brömel, OCD
Berlin
Marina Sawall
Berlin
Verantwortlich
Marina Sawall
Projektassistentin
+49 30 28 30 95-111 E-Mail schreiben