Veranstaltungsarchiv

Venus und Maria. Transformationen des Göttlichen

Marienfigur bei Filippo Lippi ("Madonna mit Kind und zwei Engeln")
Termin: 08.12.2017
Beginn: 19:00 Uhr
Ort: Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin
Bildliche Darstellungen der Frauenfiguren Venus und Maria in der frühen Neuzeit machen den Prozess einer Umwertung des Göttlichen sichtbar. Zugleich dokumentieren sie aber eine ästhetische Praxis kultureller Übersetzung und Tradierung.

Das Geschlecht Gottes ist in den jüngeren Diskussionen vielerorts eine Streitfrage, und es wäre töricht, sie beantworten zu wollen. Auffällig aber erscheint in diesem Zusammenhang ein kulturgeschichtlicher Befund, den man mit dem “Hunger nach weiblicher Gottheit” beschreiben könnte, ein an den unterschiedlichsten Stellen zu Tage tretendes Verlangen nach Bildlichkeit der Frau als Objekt der Anschauung, der Anrufung und Anbetung. Dieses Verlangen nach einer selbst handelnden Personifikation oder auch gestaltbarer Projektion beantworten die Religionen und Konfessionen jeweils auf verschiedene Weise und benennen diverse Formen der Inkarnation des Göttlichen, auch in helfender oder mittelnder Funktion.

Exemplarisch zu untersuchen wäre dies anhand der spannungsvollen Konstellation aus “Venus” und “Maria”, also in der sinnträchtigen Konfrontation der heidnischen Göttin des Eros mit der unbefleckten Mutter Gottes. Beide stehen sich in vielen Zusammenhängen als strikte Polarisierung, ja als einander völlig ausschließende Antipoden gegenüber − etwa als Verführerin zur Sünde oder als Mittlerin zum Heil. Interessanter jedoch als eine solche substantielle Trennung, wie sie im biedermeierlichen Setzkasten mit den entsprechenden Wertungsdichotomien (gut/böse, geistlich/fleischlich, Heilige/Hure) vorgenommen wird, erscheinen die zahllosen Ambivalenzen, Überblendungen, Übersetzungen, Übertragungen, Synthesen und Synkretismen, aber auch unterschiedliche Vexierbilder und Brüche, wie sie in einer jahrhundertelangen künstlerischen Produktion im Dialog mit Dogmatik, Philosophie und Psychiatrie hervortreten. Wie erfolgt etwa eine Sublimierung und Spiritualisierung des Eros, wie verbindet sich Heiligkeit mit Erotik und mit welchen Anteilen und Qualitäten? Dies ließe sich beispielsweise am Grad der Verhüllung von Weiblichkeit (Kopftuch, Haube, Schleier, Mantel) und im Blick auf die graduellen Stadien der Enthüllung oder auch die Applikation erotischer Zusätze (“bewegtes Beiwerk”) auf einer breiten indikatorischen Skala von der “Heiligen” bis zur “Hure” beobachten. Es gilt den kulturgeschichtlichen Versuchen nachzuspüren, gerade das Übersinnliche mit ästhetischen oder synästhetischen Mitteln zu versinnlichen: die Linie in der Neuzeit führte hier etwa von der Mystik Jakob Böhmes über die romantische Venus-Religiosität bei Eichendorff (“Das Marmorbild”) oder Philip Otto Runge bis zur medial gesteuerten “Anbetung” der Filmdiva unserer Tage. Aber auch der Kult um eine Königin Luise von Preußen als gnadenspendende Mutter der “gemarterten” (calvinistisch-aufgeklärten) Nation “Preußen” rückte hier unmittelbar ins Blickfeld.

Der Vortrag versteht sich als vorläufige Studie, aus den Werken der Malerei, der Skulptur, der Dichtkunst und der Filmgeschichte entsprechende Modelle aufzurufen und probeweise in Zusammenhänge zu stellen. Besonderes Augenmerk soll dabei auf die epochalen Umbruchsituationen gelegt werden: welche Transformation des Göttlichen vollzieht sich jeweils in der Renaissance (“Wiedergeburt” der heidnischen Antike), in der Aufklärung (“Säkularisierung” des Heiligen ins Profane) und in der Moderne (“Reproduktion” und “Projektion” des Übersinnlichen mit technischen Mitteln)?

Referenten
Gastreferenten
PD Dr. Andreas Keller, Eichstätt; Prof. Dr. Bernhard Braun, Innsbruck; P. Georg Maria Roers SJ, Berlin
Verantwortlich
Dr. Stephan Steiner
Referent
+49 30 28 30 95-151 E-Mail schreiben